…kann kommen! Die Schweiz zählt für mich nicht erst seit letztem Sommer zu den schönsten Ländern, die ich kenne. Mein Besuch im Engadin hat an diesem Eindruck rein gar nichts geändert, im Gegenteil. Das liegt zum einen an den atemberaubenden Bergpanoramen und den kristallklaren Gewässern, zum anderen an den barrierefreien Aktivitäten, die für Rollstuhlfahrer hier möglich sind. Paragliding, Glamping oder Klettern im Hochseilgarten wurden jetzt durch Rafting und Bergwanderungen der besonderen Art ergänzt. Die Möglichkeiten in der Schweiz sind für mobilitätseingeschränkte Menschen wirklich sagenhaft – die zugänglichen öffentlichen Verkehrsmittel, Restaurants und Unterkünfte runden den perfekten Aufenthalt ab. Ich nehme euch mit ins Engadin und möchte euch ein paar der besten rollstuhlgerechten Stationen von Scuol bis Val Müstair zeigen.
Scuol
Scuol ist eine schnuckelige Gemeinde mit nicht einmal 5000 Einwohnern. Der Ort auf 1290 Metern Höhe liegt in der Region Engiadina, welche zum Kanton Graubünden gehört. Typisch für das Erscheinungsbild vieler Häuser im Dorf ist “Sgraffito”, eine alte italienische Kratztechnik, die an den Fassaden von alten und neuen Bauwerken bewundert werden kann. In der ganzen Umgebung sprudeln unzählige Mineralquellen, die an den Dorfbrunnen und anderen natürlichen Quellen abgefüllt werden können. Es empfiehlt sich also ein Trinkgefäß im Gepäck zu haben. Wir hatten unsere „miraculaua“-Flasche immer dabei, sie sorgt nämlich auch im Sommer dafür, dass das Wasser bis zu 24 Stunden kalt bleibt. Wer jetzt glaubt, Wasser ist Wasser, der irrt sich gewaltig. An jeder Quelle schmeckt es wider Erwarten anders, immer herrlich frisch. Wegen seines Heil-und Mineralwassers ist Scuol als Kurort weltbekannt und lockt auch heute noch viele Gäste an, die das Mineralwasser auf ganz unterschiedliche Weisen erleben wollen.
Bogn Engadina
Schwimmen in reinem Mineralwasser ist eine Möglichkeit. Ich liebe Schwimmen, am liebsten im Freien. Wenn es zu kalt ist, darf es gerne ein Hallenbad sein. Im Bogn Engadina in Scuol ist beides möglich und das Beste: komplett barrierefrei! Neben einem mobilen Poollift, der euch in fast jedes Becken befördern kann, gibt es einen Badestuhl, mit dem euch die Bademeister auch über die Treppen ins Schwimmbecken befördern können. Es stehen euch 6 verschiedene Außen- und Innenbecken zur Verfügung, ein Strömungskanal, Massagedüsen und kleine Wasserfälle. Sowohl von der Saunalandschaft, als auch vom Außenschwimmbecken hat man eine fantastische Aussicht auf die Unterengadiner Bergwelten.
Aus Rücksicht gegenüber den anderen Badegästen wollte ich nicht allzu viele Bilder schießen, da das schöne Bad sehr gut besucht war. Ich habe selten so ein gepflegtes Schwimmbad gesehen, das in Sachen Barrierefreiheit an alles gedacht hat. Eine extra große Umkleide mit automatischen Türen, eine Toilette und Dusche mit Sitz und Haltegriffen sowie eine höhenverstellbaren Liege, die euch beim Transfer helfen soll – haben mein Badevergnügen perfekt gemacht.
Rafting im Engadin
Ein unvergessliches Erlebnis – Rafting auf dem Fluss Inn. Und dabei kann man wahrhaftig von einer Wildwasserfahrt sprechen. Den ein oder anderen hat es nämlich tatsächlich über Bord geschmissen. Ich musste mich an manchen Stromschnellen doch mit viel Kraft am Bootsseil festhalten, um nicht ins 8 Grad kühle Nass abzusegeln. Wobei das Raft ohnehin an manchen Stellen ziemlich tief ins Wasser abgetaucht ist – ich sag´ es euch – ein Riesenspaß. Dank Neoprenanzug, in den man mich vor Fahrtbeginn gepfercht hat, und dem strahlenden Sonnenschein, überhaupt nicht kalt. Das Adrenalin, das durch deine Adern schießt, wird vermutlich sein Übriges tun.
Die Guides von Engadin Adventures sind sehr hilfsbereit und helfen Rollstuhlfahrern gerne dabei, das unvergessliche Erlebnis auf dem besten Rafting-Fluss der Schweiz in die Tat umzusetzen. Mit einem Van geht es zur Anlegestelle, ich durfte zum Glück schon an Land ins Boot einsteigen und wurde sitzend ins Wasser rein- und auch wieder rausgetragen. Sicherheit ist das oberste Gebot, darum bekommt jeder neben Neoprenanzug und -schuhen auch einen Helm und eine Schwimmweste. Ob Rafting auch für dich das Richtige ist, besprichst du am besten mit den erfahrenen Mitarbeitern vor Ort. Sie beraten gerne auch telefonisch. Meiner Meinung nach empfiehlt sich eine gewisse Restmobilität und Kraft im Oberkörper und natürlich die Fähigkeit zu Schwimmen.
Mountain Chair
Mittlerweile haben die Berge auf mich eine ganz besondere Wirkung. Ich habe sie früher eher mit Winterurlaub in Verbindung gebracht und auch unabhängig der Jahreszeit mit steilen und naturbelassenen Wegen als weniger rollstuhlgerecht eingestuft. Heute verbinde ich einige meiner schönsten Urlaubserinnerungen mit den Bergen. Je nachdem welchen Gipfel ihr nun erklimmen wollt, gibt es auch einige barrierearme asphaltierte Wege, auf denen man auch mit Rollstuhl gut vorankommt. Noch besser und einfacher geht es allerdings mit dem JST Mountain Drive, den man an der Bergbahn Motta Naluns ins Scuol ausleihen kann. Der geländegängige motorisierte Rollstuhl fährt dich über Stock & Stein, egal wie steil und auch über einzelne Wegstufen durch Berg & Tal. Ein schönes Gefühl einfach drauf losbrettern zu können, ohne Angst haben zu müssen, gleich aus dem eigenen Rollstuhl zu fallen.
Dank der Stiftung Cerebral stehen zwei dieser Off-Road-Stühle im Bikeshop an der Talstation für Besucher zur Verfügung. Für nur 25 CHF kann der Mountain Chair am Tag dort ausgeliehen werden. Die Gondeln der Bergbahn sind selbstverständlich barrierefrei zugänglich und sowohl an der Berg- als auch an der Talstation gibt es rollstuhlgerechte Toiletten, die mit dem Euro-Schlüssel geöffnet werden können. Wir sind ca. 15 km über das Örtchen Ftan bis nach Scuol zurückgewandert – bei bester Aussicht, schönstem Wetter und vor allem ohne jegliche Barrieren.
Wandern
Durch kleine Bergdörfer, entlang der duftenden Wiesen und Wälder, immer in der Nähe des plätschernden Wassers und zu Füßen der imposanten Bergwelt, lässt es sich hervorragend spazieren. Die Region beherbergt an die 300 Wanderwege mitten durch die intakte Natur. Wir sind die barrierearmen Spazierwege zwischen Tschierv und Müstair entlang geschlendert, auch mit Lutzi kein Problem. Anstelle von Bergbahnen und Rhb, die im Engadin verkehren, fährt zwischen den Dörfern des Münstertals das sog. Postauto, also der Bus. Die Busse sind, dank integrierter Rampe oder Lift, alle rollstuhlgängig. Sehr praktisch, da man so an vielen Stellen der Wanderstrecken an allen Dörfern im Tal zusteigen kann und somit einzelne Streckenabschnitte verkürzen oder sich wieder an die Ausgangsposition zurückbringen lassen kann. Mit dem Nationalpark im Rücken und dem Blick zu den schönen Bergpanoramen kann man in diesem Wandergebiet im östlichsten Graubünden theoretisch bis nach Italien wandern.
Unser letzter Stopp vor der Grenze war das Kloster Val Müstair. Das Benediktinerinnenkloster St. Johann ist ein sehr gut erhaltenes Kloster aus dem Mittelalter, das heute noch bewohnt ist. Die Führungen durch die Kirche und das Museum sind für Rollstuhlfahrer zu großen Teilen möglich, die Obergeschosse erreicht man leider nur über eine Treppe. Der Shop samt rollstuhlgerechter Toilette ist barrierefrei zugänglich.
Barrierefreie Unterkünfte im Engadin
Jugendherberge – Scuol
Die moderne Jugendherberge liegt sehr zentral unweit des barrierefreien Bahnhofs und der Bergbahn von Scuol. Also der ideale Ausgangspunkt für viele Aktivitäten vor Ort. Es gibt einen gemütlichen Speisesaal, in dem man an langen Holztischen vor riesengroßen Fenstern gemeinsam regionale Produkte von einheimischen Bauern zum Frühstück bekommt. Eine große Couchecke mit Kamin und kleiner Bar steht den Gästen ebenfalls zur Verfügung. Unser barrierefreies Doppelzimmer mit separatem rollstuhlgerechten Bad war einfach, aber funktionell eingerichtet und sehr sauber. Kostenlose Parkplätze stehen euch hier ebenfalls zur Verfügung und freundliche Mitarbeiter hat es obendrein – für mich in der Schweiz immer eine gute und preiswerte Alternative, bei der man auch sehr leicht Kontakt mit anderen Reisenden knüpfen kann.
Hotel & Restaurant Al Rom – Tschierv
Bunt, herzlich und barrierefrei ist das Hotel Al Rom in Tschierv, das mit viel Liebe zum Detail von seinen freundlichen Gastgebern eingerichtet wurde und betreut wird. Die neu renovierten Zimmer sind schön eingerichtet, sauber und gemütlich. Eines davon ist auch mit rollstuhlgerechtem Badezimmer ausgestattet. Der Zugang zu unserer Terrasse war zwar wenige Zentimeter zu eng für meine Lutzi, dafür gibt es eine riesige barrierefreie Sonnenterrasse direkt am Restaurant. Die Küche ist hervorragend und das Frühstück beinhaltet alles für einen guten Start in den Tag. Bei Halbpension bekommt ihr am Abend ein 3.Gang-Menü serviert. Die Karte beinhaltet viele regionale Produkte, auch vegetarische Speisen und am Wochenende gibt es zusätzlich frische Holzofenpizza. Das Hotel hat eine gute Lage für Bike- und Wandertouren. Mit einem Fahrstuhl kommt ihr auf alle Etagen und auch zur Sauna, in der man sich nach einem Tag in der Natur aufwärmen darf.
Hotel Münsterhof – Val Müstair
Mein persönliches Highlight unserer Reise durch das Engadin war dieses entzückende Gästehaus, das aus verschiedenen Ferienwohnungen und Doppelzimmern besteht. Jedes Appartement ist einzigartig und erzählt seine eigene Geschichte. Das ganze Hause und seine Zimmer sind barrierefrei, zwei davon sind mit rollstuhlgerechten Badezimmern ausgestattet, die in der ebenerdigen Dusche auch noch einen Sitz und Griffe integriert haben. Das traditionsreiche Haus wurde 2018 komplett renoviert und bietet neben modernem Komfort, eine urgemütliche Atmosphäre mit jeder Menge liebevoller Details und tollen Antiquitäten. In unsere Ferienwohnung, die stolze 66m² groß war, wäre ich am liebsten direkt eingezogen. Im Bistro im Erdgeschoss genießt man am Morgen das Frühstücksbuffet mit regionalen Spezialitäten. Die Appartements bieten neben Wohn-, Schlaf- und Badezimmer auch eine voll ausgestattete Küche.
Barrierefreie Restaurants im Engadin
Restaurant Bellaval – Scuol
Direkt gegenüber der Jugendherberge in Scuol findet ihr das Hotel & Restaurant Bellaval, in dem eine riesen Auswahl an gutbürgerlichen Schweizer Spezialitäten serviert wird. Wir waren direkt nach unserer Ankunft in Scuol hier zu Abendessen und hatten den perfekten Einstieg in unseren Urlaub.
Pizzeria Allegra – Scuol
Riesig und vor allem lecker sind die Pizzen in diesem Restaurant in der Stadtmitte. Der Service ist freundlich und dank großer Glasfront habt ihr hier immer einen guten Blick auf die Berge. Die Preise sind fair, das Personal sehr freundlich. Was will man mehr? 🙂
Restaurant Engiadina – Ftan
Auf unserer Wanderung mit den Mountain Chairs haben wir Halt in dem gemütlichen Biergarten gemacht und ein paar regionale Köstlichkeiten zur Stärkung zu uns genommen. Bündner Spezialitäten sind u.a. Plat Engiadina mit Bündnerfleisch, hausgemachte Capuns oder Pizokel. Ich durfte alles probieren – es hat uns ausgezeichnet geschmeckt. Das Restaurant ist barrierefrei zugänglich. Wer eine rollstuhlgerechte Toilette sucht, ist in dem Örtchen Ftan im Hotel Bellavista herzlich willkommen.
Restaurant Balcun At – Val Mustair
Ein gemütliches, barrierefreies Restaurant (samt rollstuhlgerechter Toilette) mit Wintergarten, in dem gutbürgerliche Gerichte und preiswerte Tagesmenüs angeboten werden. Die Spezialitäten hier sind die gefüllten Schnitzel und hausgemachten Nusstorten. Der Service war ausgesprochen freundlich.
In der Ferienregion Scuol Samnaun Val Müstair wird alles Mögliche getan um deinen Aufenthalt so hindernisfrei wie möglich zu gestalten. Weitere nützliche Informationen & Ideen zu barrierefreien Aktivitäten warten auf der Homepage des Tourismus auf euch. Es gibt zudem einen begnadeten Ansprechpartner vor Ort, der euch noch viele weitere Tipps für euren barrierefreien Urlaub im Engadin geben kann. Stephan Gmür sitzt seit einem Gleitschirmunfall selbst im Rollstuhl und er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die schöne Ferienregion für alle erlebbar zu machen. Wir kamen in den Genuss, seine Heimat von einer besonders schönen Seite entdecken zu dürfen. Eine Ferienregion, die ihm in Sachen Barrierefreiheit unglaublich viel zu verdanken hat, darum kann ich einen Urlaub dort – vor allem, aber natürlich nicht nur für Rollstuhlfahrer – von ganzem Herzen empfehlen.
Sonnige Ferien in der Bergen des Engadin
Wir hatten im August fantastisches Wetter und waren in erster Linie an der frischen Luft auf Entdeckungstour. Das Freizeitangebot bietet noch jede Menge weitere rollstuhlgängige Aktivitäten wie Keramikmalen, Sgraffito-Kurse oder Käsedegustation. Ein Blick in die Ferientipps an der Gästeinformation gibt euch einen kleinen Einblick zu den vielen Möglichkeiten.
Kleiner Tipp vor der Abreise: Wer, wie wir, mit dem eigenen Auto anreist, dem empfehlen wir für die Abreise einen Abstecher nach Samnaun. Lohnt sich für alle, die gerne zollfrei einkaufen und tanken möchten.
Ich bin nun noch mehr davon überzeugt, dass ich das barrierefreie Engadin unbedingt einmal besuchen muss. Besonders die barrierefreien Unterkünfte, Aktivitäten und die Infrastruktur haben es mir angetan. Ich hoffe, dass ich es bald einmal schaffen werde, einen barrierefreien Urlaub im Engadin zu verbringen.
Das Engadin ist toll! Du wirst es nicht bereuen 🙂
Liebe Kim,
bisher war ich tatsächlich noch gar nicht in der Schweiz. Ausgenommen zum Durchfahren.
Es wir also höchste Zeit, dass ich die Schweiz auf meine Reiseliste setze. Dein Bericht hat
mir auf jeden Fall große Lust auf die Schweiz gemacht. Danke dafür!
Liebste Grüße,
Elisa von ElisaZunder
Liebe Kim,
das sieht super aus.
Ehrlich gesagt war ich noch nicht im Engadin… insgesamt überhaupt zu wenig in der Schweiz.
Irgendwie zieht es mich immer eher in andere Gefilde. Vielleicht müßte ich das doch endlich mal in Angriff nehmen. Wir starten z.B. jedes Jahr in den Sommerferien einen mehrwöchigen Familienroadtrip durch ein deutsches Nachbarland… da fehlt die Schweiz eigentlich noch…
DANKE für die Inspiration!
Liebe Grüße
Tanja
Hi Kim,
einmal mehr ein toller Beitrag von dir. 🙂
Die Schweiz sieht ja grandios aus – ich hatte ja keine Ahnung wie tolle Möglichkeiten es dort für einen barrierefreien Urlaub gibt. Das Mountain Chair-Erlebnis ist denke ich mein persönliches Highlight, aber ich kann mir vorstellen, dass ihr auch beim Raften eine Menge Spaß hattet.
LG aus Graz,
Sigrid
Auch ich war noch nie in der Schweiz, nur einmal bei einem Zwischenstopp an einem Rastplatz, aber das zählt irgendwie nicht 🙂
Ich finde toll, dass es dort so viele barrierefreie Orte und Erlebnismöglichkeiten gibt. Tolle Bilder und tolle Eindrücke!
Liebe Grüße
Jana
Es ist so toll, dass solche Sachen auch möglich sind, wenn man in der Mobilität eingeschränkt ist. Das hätte ich nie gedacht. Es freut mich so, dass du das erleben kannst – und auch, dass du mit den Berichten und Fotos anderen Mut machst!
Ich war leider noch nie in der Schweiz, werde sie aber früher oder später auf jeden Fall noch besuchen!
Wahnsinn wie viele barrierefreie Aktivitäten du dort gefunden hast. Wirklich schön, was alles möglich ist. 🙂
Liebe Grüße
Ja, da bin ich auch sehr froh darüber 🙂 Denk an mich, wenn du mal hin fährst – ist wirklich wunderschön da. Liebe Grüße Kim
Großartig, du lässt aber auch wirklich nichts aus 🙂
Alleine deinen Blog zu lesen gibt unfassbar viel positive Energie, denn du zeigst ganz deutlich -auch mit einem Rollstuhl kann man richtig mobil sein und Hürden gibt es nur wenige, die man nicht bezwingen kann.
Man muss nur wollen und ein bisschen nach den Ideen suchen 🙂
Liebe Grüße, Katja
Aww Katja, dein Kommentar wie lieb – vielen Dank für deine Worte! Ganz viel Liebe von hier 🙂